Nachdem mittlerweile 249 Beschäftigte bei Westfleisch in Coesfeld positiv auf Corona getestet wurden, fordert die Gewerkschaft NGG ein Umdenken in der Fleischbranche. „Bei der Schlachtung und Zerlegung herrscht seit Jahren ein knallharter Dumping-Wettbewerb – auf Kosten von Mensch und Tier. Aktuell ist in Münster ein Pfund Rinderhack im Supermarkt für 2,29 Euro zu haben. Es ist klar, dass bei solchen Preisen keine vernünftigen Arbeitsbedingungen möglich sind. Vom Tierwohl ganz zu schweigen", sagt Helge Adolphs, Geschäftsführer der NGG-Region Münsterland. Der Corona-Ausbruch in Coesfeld sei „dramatisch", komme angesichts der vielkritisierten Zustände in der Branche aber nicht völlig überraschend.
Zusammen mit Betriebsräten poche die Gewerkschaft seit langem auf eine angemessene Unterbringung der meist osteuropäischen Beschäftigten in der Region. Westfleisch setze bei seinem Geschäftsmodell allerdings auf Subunternehmen. Und genau diese seien oft die schwarzen Schafe: „Bei der Westfleisch-Tochter Wepro, über die viele Zerleger angestellt sind, wurde im Vorfeld des Ausbruchs in verschiedenen Sprachen über die Infektionsgefahr informiert", berichtet Adolphs. Auch Masken und Desinfektionsmittel seien in den Unterkünften verteilt worden. Ein entscheidendes Problem sei aber, dass sich viele Subunternehmen der Kontrolle durch den Auftraggeber entzögen. „Es fehlt eine rechtliche Grundlage, damit Betriebe wie Westfleisch die Wohn- und Lebensverhältnisse der Beschäftigten ihrer Subfirmen kontrollieren", so Adolphs.
Aber auch der Staat müsse genauer hinschauen. Es sei gut, dass die NRW-Landesregierung nun alle Fleisch-Beschäftigten auf Corona testen und die Sammelunterkünfte durch die Gesundheitsämter kontrollieren lassen wolle. „Aber das darf keine einmalige Aktion sein. Aktuell geht es um das Virus. Um die Gesundheit der Beschäftigten aber auch künftig zu schützen, muss die Fleischbranche regelmäßig vom Staat in den Blick genommen werden", so Adolphs. Dies müsse wesentlich intensiver geschehen als bislang. Zwar habe das Land NRW den Arbeitsschutz in der Fleischindustrie schon im Oktober vergangenen Jahres schwerpunktmäßig kontrolliert. Trotzdem sei es jetzt zu diesen fatalen Corona-Infektionsfällen gekommen. „Hier muss also deutlich mehr passieren", fordert Adolphs. In ganz Nordrhein-Westfalen arbeiten knapp 30.000 Beschäftigte in der Branche – viele osteuropäische Werkvertragsarbeitnehmer in den Subunternehmen nicht mitgerechnet.
Der Gesundheitsschutz der Beschäftigten sei bei den Ramsch-Angeboten offenbar nicht eingepreist, kritisiert die NGG – „vom Tierwohl ganz zu schweigen". Nach Informationen der Gewerkschaft hat die Arbeitsbelastung in den Schlachthöfen im Zuge der hohen Fleischnachfrage des Einzelhandels zuletzt stark zugenommen. „12-Stunden-Schichten sind in vielen Betrieben gang und gäbe. Es trifft vor allem die Werkvertragsbeschäftigten aus Osteuropa, die über Subunternehmen angestellt sind", so Adolphs. Die lange, körperlich harte Arbeit in der Schlachtung und die Zerlegung geschlachteter Tiere mache die Menschen anfälliger für Erkrankungen und schwäche ihre Widerstandskraft. Auch das sei ein Aspekt, der bei Covid-19-Infektionen nicht unter den Tisch fallen dürfe.
Hinzu komme die Unterbringung. „Während überall Abstandsregeln und Kontaktsperren gelten, wohnen in den Gemeinschaftsunterkünften oft bis zu sechs Osteuropäer in einer 60-Quadratmeter-Wohnung. Dafür ziehen die Subunternehmer dann aber jedem Einzelnen auch noch 250 Euro vom ohnehin kargen Lohn ab", berichtet Adolphs. Vor allem die Gesundheitsämter müssten die Unterkünfte von Beschäftigten wesentlich intensiver ins Visier nehmen. Hier brüte überall im Land eine enorme Corona-Gefahr, so die NGG.
Die Gewerkschaft fordert die Fleischhersteller dazu auf, den Gesundheitsschutz „absolut ernst" zu nehmen. Sie stünden in der Verantwortung, auch bei ihren Subunternehmen für faire Arbeitsbedingungen und eine ordentliche Unterbringung zu sorgen. „Dabei ist klar: Sicherheit ist nicht zum Nulltarif zu haben. Dumpingpreise können schon deshalb nicht funktionieren. Fleisch darf keine Ramschware sein – nicht in normalen Zeiten und schon gar nicht in der Pandemie", so Adolphs.
Um die Zustände in der Fleischwirtschaft dauerhaft zu verbessern, müssten aus Werkverträgen reguläre Jobs werden – bezahlt zu einem fairen Branchenmindestlohn, so die NGG. „Außerdem brauchen wir eine bessere Nachunternehmerhaftung, damit prekäre Arbeitsbedingungen und unwürdige Unterkünfte auch beim letzten Subunternehmen ausgeschlossen sind", betont Adolphs.
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